Sehr geehrter Herr Eichinger,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
geschätzter Künstler,
liebe Gäste,
die Welt des wissenschaftlichen Arbeitens und damit die Welt dieses Instituts für Deutsche Sprache oder vielmehr die Welt der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb des Instituts basiert im Wesentlichen auf Zeichen, Zitaten und ihren Möglichkeiten. Begonnen wird meist mit bereits vorhandenem Material; z.B. mit Sprachaufnahmen. Sie werden zunächst transkribiert, dann analysiert und schließlich durch Interpretation in einen neuen Zusammenhang gestellt. Oder es werden schriftsprachliche Texte aus Büchern, Zeitschriften, Handbüchern, digitalen Veröffentlichungen usw. als Grundlage eigener Forschung verwendet, zitiert und in neue textliche Beziehungen gesetzt. Neben diesen klassischen Quellen werden hier auch Videos, Bilder und Grafiken, sogar Lieder und auch Posts aus Social-Media-Kanälen für die eigene Arbeit herangezogen. Es gibt viele Möglichkeiten in der Arbeitsweise, nur nicht unendlich viele. Verehrte Gäste, wenn wir uns in diesen Räumen umschauen, dann sehen wir die Werke des freischaffenden Künstlers und Innenarchitekten Wolfgang Glass aus Neustadt an der Weinstraße, der uns ebenfalls eine Welt der Zeichen, Zitate und ihrer Möglichkeiten vorführt – nur mit dem kleinen aber durchaus wesentlichen Unterschied zu der Arbeit an diesem Institut, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier verpflichtet haben, festen Regeln des Zitierens zu folgen, während Wolfgang Glass uns mit einer Auswahl von 30 seiner Werke zeigt, wie kreativ man als Künstler mit Zeichen und Zitaten umgehen kann und diese als Transformationen ihrer selbst schließlich als Folie über die Wirklichkeit gelegt, verzerrt und neu erschaffen werden können, anstatt sie bloß abzubilden.
Aufgrund dieser sich selbst als mehrere Folien überlagernden Art der Zitation, die Glass der alltäglichen Bilder- und Konsumwelt wie dem Kino, der Werbung – oder auch mal einer Montageanleitung – vor allem aber auch dem Comic und der Musik entleiht, in Form von serieller Motivik und Comic-Collagen und auch durch ergänzende Malerei und Grafik, erreichen seine Werke eine unverkennbare Strahlkraft eigensinniger Vielschichtigkeit von Bild- und Sprache-Elementen sowie einen unverwechselbar dynamischen Strich, der sich gleichfalls durch Formungswillen aber auch Zufall auszeichnet und auch wandelt, und schließlich aufgrund der Kombination dieser Elemente Wolfgang Glassʼ Werken eine eigene Tiefe verleihen. Diese Tiefe eröffnet sich dem Betrachter nicht selten erst auf den zweiten genaueren Blick: Denn in seinen Bildern entdecken wir Bilder in Bildern, Zitate in Zitaten, Text- sowie Bildzitate gegenseitig ergänzend, flankierend – amalgierend. Wunderbare Beispiele sind hierfür die Werke Kunstsprachen, Computersprachen oder auch Know how? In ihnen befinden sich transformierte Text- sowie Bildzitate, zwischen denen eine beziehungsreiche Dialektik schwingt, der es auf den Grund zu gehen lohnt.
Betrachten wir uns diese Dialektik am Beispiel des zuletzt erwähnten Werks Know How?, dessen Titel man auch mit ,Fachwissen‘ oder als ,Wissen über eine praktische Umsetzung einer Sache‘ oder schlicht ,gewusst wie‘ übersetzen könnte und der schon von sich aus auf Verschiebungen verweist und ein fast schon analytisches Werk erwarten lässt. Analytisch ist das Werk in gewissem Sinne ja auch, indem es das Zitat „I know how you must feel, Brad“ und auch die dazugehörige Comic-Figur in verschiedenen Sichtweisen mithilfe von Weglassen oder Hinzufügen diverser sprachlicher oder bildlicher Elemente zeigt. Glass bedient sich hier einer für die Bildsprache des POP-Art charakteristischen seriellen Motivik: ein Comic wird vervielfacht und collagiert. Doch wiederholt Glass die Comic-Figur hier nicht eins zu eins – wie wir es beispielsweise aus seriellen Bildern eines Andy Warhols kennen –, sondern in der Wiederholung transformiert er die Comic-Figur und mit ihr auch die Sprache: Aus „I know how you must feel, Brad“ wird „I know you, Brad“ oder „How you, Brad“ oder „I feel – I must feel – I feel“… oder eben „Know how?“. Mit dem Verändern des textlichen Zitats wird auch das Bildzitat, also die Figur, mit verändert, die das veränderte Zitat widerzuspiegeln scheint: Je mehr Gefühl im Zitat geäußert wird („I feel – I must feel – I feel“), desto leidenschaftlicher die Veränderung der Figur in Form und Farbe. Je fragmentarischer das Zitat, desto fragmentarischer auch die Figur: Diejenige, die nach dem „Know how?“ fragt, ist denn auch selbst zerbrochen.
Die Verbindung zwischen Text und Bild ist in vielen Werken des Künstlers Wolfgang Glass auf das Engste miteinander verknüpft. Bild und Sprache ergänzen sich gegenseitig, erleichtern zuweilen die Rezeption, spielen aber auch mit den unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten von Bild und Sprache, so dass nicht selten die für Wolfgang Glassʼ Bilder charakteristische Komik entsteht wie beispielsweise in den Werken Reducing Machine oder Clothing Drama. In beiden Werken lassen die Texte nicht zwingend auf die jeweiligen Bilder schließen und umgekehrt und doch ergänzen sie sich gerade hier und gerade hier sind die Werke durchaus amüsant. Und nicht selten ist der Träger einer humoristischen Pointe – wie in den genannten Werken – eigentlich eine Trägerin. Nicht selten ist die Hauptfigur der Glassʼschen Werke weiblich. In zahlreichen Formen und Farben durchzieht sie sein Werk. Doch als Trägerin von Komik ist sie selbst keinesfalls als Witzfigur zu verstehen: Sie ist für Glass „Zeichen der Ästhetik und (…) Offenheit (…), der Flexibilität und Eigenwilligkeit in unserer Kultur und Umwelt und der Hoffnung auf eine befriedete und befreite Welt“. Häufig sei Weiblichkeit und Sinnlichkeit in der Kunst verfälscht übertrieben, indem sie vermeintliche Tabus der Gesellschaft widerspiegelt, so der Künstler. In seinen Werken dagegen ist die Weiblichkeit befreit und lebt und feiert sich selbst in einem enttabuisierten, freien und zwanglosen, Prozess – ob in einer schwungvollen Linie am Rande der Abstraktion beispielsweise im zweiteiligen Werk It’s really you? oder in Form eines Comics wie in den Werken no more little nice girl oder alle meine Entchen.
Ja, auch Humor ist eine der Waffen der dargestellten zum Teil wehrhaften Frauen von Wolfgang Glass, die mit wenigen Ausnahmen, meist in Abwesenheit jeglicher Männer ihre Stärken und auch Schwächen selbstbewusst ausleben. Seine Frauen sind starke für sich stehende Kämpferinnen, die sich dafür nicht schämen und ein Gegenentwurf zu einer Gesellschaft seien, die die Frau gleich und unauffällig, ja anonym mache. Als Künstler fühle er sich mit der Schönheit, Sinnlichkeit und Stärke von Frauen verbunden, wobei er diese Stärke gerne auch überzogen, futuristisch und aufreizend zeigt. Weil sich nicht selten erst in dem überzogen Überspitzten die Niederungen zeigen, die er selbst ablehnt. Ein wunderbares Beispiel dieses Gedankens ist das Bild Fall for you. Eine anonymisierte weibliche Figur in aufreizender Kleidung räkelt sich einem noch anonymer bleibenden nur textlich erwähnten „you“ entgegen, dem sie verfallen sei. Also ob dies als Zeichen der Hingabe nicht reichen würde, tut sie dies gleich in dreifacher Weise. Das endgültige „Verfallen-Sein“ zeigt sich schließlich in einem Bild und Text vergrößerten, physisch kaum möglichen, überbeugenden Körper, während auch da das Gesicht schließlich unkenntlich und damit immer noch anonym bleibt. Die Frage bleibt: Wer verfällt wem? Und hat es einen Sinn, sich selbst aufgereizt dafür so zu verrenken? Und doch zeigt die weibliche Figut selbst verrenkt ihr Stärke erhobenen Hauptes und Armes.
Wolfgang Glassʼ Werke zeichnen sich durch Komplexität bei gleichzeitiger Leichtigkeit aus. Wie das zusammenpasst? Glass sagt, dass manchmal ein einfacher Strich ausreiche, um drei Lagen Farbe zu ersetzen. Damit meint er, dass scheinbar einfache Strichführung oft höheres handwerkliches Können erfordert als das Aufbieten großen körperlichen oder materiellen Einsatzes. Sein Credo ist scheinbar einfach: „Anfangen, aufhören, fertig.“ Bei ihm und seinen Werken kommt es auf die innere Haltung an: Zeit, Raum und Mühe spiele keine wesentliche Rolle, auch wenn er Zitate der alltäglichen und damit zeitgebundenen Bilder- und Konsumwelt entleiht und sich damit einerseits in die Tradition des Pop-Art einreiht; andererseits erweitert und überholt er diese durch spielerisch kompositorische Abstraktionselemente, die ein charakteristisches Alleinstellungsmerkmal in dieser Tradition sind. Aber am Ende zähle für Glass lediglich die Kraft der entstandenen Kunst, das Gefühl, eine Idee zu tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wolfgang Glassʼ Werke sind schwungvoll und energisch: Sie deuten Kraft und Gedanken an, die vor dem Bild beginnen, sich auf diesem verteilen und schließlich außerhalb dessen erst aufhören. Angeschnitten weisen sie auf das impulsive Leben außerhalb des Bildes hin. Innerhalb dagegen konzentriert Glass dieses „impulsive Leben“ in Text und Bild auf sein Wesentliches: Lebensfreude, Leidenschaft, Obsession – eine Obsession, auf die man als regelgebundener Wissenschaftler durchaus bewundernd schauen darf, während man am Schreibtisch noch einmal seine Zitate auf deren Richtigkeit hin überprüft. Also lassen sie sich, verehrte Gäste, zu diesem Dialog von Bild und Sprache, Kunst und Freude einladen und sich von der unmittelbaren Lebenslust, die Wolfgang Glassʼ Werke ausstrahlen, anstecken! Gehen Sie auf Entdeckungstour nach den vielfältigen Verknüpfungen von Text und Bild, Sinn und Sinnlichkeit, den vielfältigen Anspielungen von Weiblichkeit, den augenzwinkernden Understatements und ironischen Subtexten und dem allen Werken gemeinsam eigenwilligen und unverkennbaren Strich, der sie schon längst zu echten „Glassikern“ gemacht hat!
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Katharina Dück